Handwerk empfiehlt der Politik mehr Werkbank, weniger Schreibtisch
Halbzeitbilanz Grün-Schwarz -
Die Gesamtnote ist positiv: „Die Landesregierung macht einen deutlich besseren Job als die Bundesregierung, im Umgang miteinander, aber auch mit Blick auf viele Themen“, so Handwerk BW-Präsident Rainer Reichhold und weiter: „Wir vermissen allerdings eine konkrete Vision, wie dieses Land in zehn Jahren funktionieren soll. Die Ziele im Klimaschutz, der Energiewende, bei der Transformation der Wirtschaft sind zweifelsohne ambitioniert. An deren Umsetzung in der Praxis hapert es aber noch. Mehr Werkbank, weniger Schreibtisch – das wünschen sich nicht nur unsere Betriebe in Sachen Bürokratie, sondern auch für die Regierungsarbeit in den nächsten zweieinhalb Jahren“, so Handwerk BW-Präsident Rainer Reichhold.
So brauche beispielsweise die Bildungspolitik einen anderen Stellenwert in der Ressourcenverteilung der Landesregierung. Ohne Grundkompetenzen der Schüler könnten diese nur schwer zu dringend benötigten, gut qualifizierten Fachkräften heranwachsen, die dringend für Klimawende und Co. benötigt würden, warnte Reichhold. „Bildung ist alleinige Ländersache, im Unterschied zum Klimaschutz. Hier kann die Landesregierung Entscheidendes bewegen. Bildung muss wieder Herzens- und Hauptthema werden.“
Mit Blick auf die bisherige Bilanz von Grün-Schwarz kritisierte der Verband die zu geringen Haushaltsmittel für die Fachkräfteausbildung. Zwar wurde die Unterstützung der Bildungsstätten des Handwerks sogar im Koalitionsvertrag festgehalten. Trotzdem wurden im aktuellen Doppelhaushalt die Mittel sogar gekürzt statt erhöht. Dabei leisteten die Bildungsstätten einen entscheidenden Beitrag für eine modernen Aus- und Weiterbildung. Handwerk BW-Hauptgeschäftsführer Peter Haas: „Wir erwarten, dass hier nachgebessert wird und dass sich Baden-Württemberg auch für eine langfristige Sicherstellung der Bundesmittel bei der Ampel einsetzt.“
Zur Fachkräftesicherung gehört auch die Anwerbung von Arbeitskräften im Ausland. Hier brauche das Handwerk mehr Unterstützung für interessierte Betriebe und Arbeitskräfte. Die Rahmenbedingungen und Zugangsmöglichkeiten müssten verbessert werden, die Ausländerbehörden im Land zu serviceorientierten „Welcome-Centern“ ausgestaltet werden.
Nur wenn es in der Zukunft noch genügend Betriebe gebe, könnten auch ausreichend Ausbildungs- und Arbeitsplätze angeboten werden, mahnte Handwerk BW. 23.000 Handwerksbetriebe im Land suchen in den nächsten fünf Jahren eine Nachfolge. „Nachfolgesicherung ist das Gebot der Stunde. Wir halten deshalb ein landesweites Programm für notwendig, das für das Thema Nachfolge eine umfassende und mittel- bis langfristige Umsetzungsbegleitung ermöglicht“, so Haas weiter.
Auch in anderen Politikfeldern sehe Handwerk BW zwar durchaus ein Problembewusstsein auf Seiten der Landesregierung, die konkreten Erfolge seien allerdings bislang oft überschaubar. So seien die Ziele in der Klimapolitik besonders ambitioniert, aber die Politik scheitere gerade hier manchmal an eigenen Vorgaben, zum Beispiel bei der energetischen Sanierung landeseigener Gebäude und deren Ausstattung mit Photovoltaik. „Gerade bei diesen komplexen Themen wäre das Einbeziehen von Experten aus der handwerklichen Praxis sinnvoll. Leider wurden die Stellungnahmen der Verbände bei Gesetzen oder Verordnungen mehrfach ignoriert. Auch im Sachverständigenrat der Regierung sitzen nur Wissenschaftler, keine Praktiker“, kritisierte der Hauptgeschäftsführer.
Beim Auftreten der Landesregierung gegenüber Berlin wünscht sich das Handwerk mehr Selbstbewusstsein für die zweite Legislaturhälfte. Man vermisse beispielsweise die Forderung, die Energiesteuern auf das europäische Mindestniveau zu senken. Oder den Appell Baden-Württembergs, den Mittelstand vor dem Lieferkettengesetz zu schützen.
Trotz aller Kritik in der Sache, sehe das Handwerk aber die Chancen für Baden-Württemberg: „Das Land hat das Zeug, ein Modell für Deutschland zu sein“, so Reichhold und Haas. „Mit einer ausgewogenen Politik, die sich auf ihre Kernaufgaben konzentriert, ohne den Blick auf die notwendige Transformation zu verlieren, kann Baden-Württemberg wieder Lust auf die Zukunft machen.“